Ey. <- „So fing auch die Bibel an, oder?“ – Marcel
Speisen&Sprechen geht in eine weitere Runde, diesmal mit Marcel, Patrick, Philip, Speck- und Nutellapfannkuchen! Marcel und Patrick hatten vorgearbeitet, waren einkaufen und kochten. Philip durfte dann aufräumen und Kaffee kochen, eine gute Arbeitsteilung. Mit einem vollen Korb voller professionell in Alufolie eingepackten Pfannkuchen, Fritz und Kaffee ging es dann raus in die Kälte. Marcel und Patrick waren aufgeregt „wie vor einer Matheklausur“ (Patrick), da es das erste mal Speisen&Sprechen für sie war. „Man weiß ungefähr, was auf einen zukommt, aber richtig vorbereiten kannst du dich darauf nicht“. Unsere Gebete, dass das Schneechaos vom Vortag enden möge wurden erhört. Unsere erste Station war ein Rumäne, der Fifty-Fifty verkaufte. Wir luden ihn ein mit uns zu essen, jedoch blieb es, aufgrund einiger Verständigungsprobleme, bei einem netten Gespräch. Das Problem war, dass Speisen&Sprechen nicht funktioniert, wenn man nicht klar machen kann, dass man zusammen speisen möchte.
Nicht weit vom Ort unseres ersten Gespräches trafen wir auf Jan, der uns nach anfänglicher Skepsis einlud uns zu ihm zu gesellen. Er dachte wohl, dass wir sowas wie ein laufendes Schulprojekt sind. Diesmal hat Philip sich an die richtige Reihenfolge gehalten. Erst vorstellen, dann fragen und DANN essen. Nicht andersherum. Wir setzten uns hin, Jan, der zuvor eine sehr versalzene Schale Pommes „genossen“ hatte, bediente sich mit Freude an der Auswahl der Getränke, besonders dem Kaffee war er angetan. Der Rest biss herzhaft in die Pfannkuchen. Dieses Mal entstand nichteinmal ein gefräßiges Schweigen, sondern eher ein sehr angeregtes Gespräch über die Demonstration, welche unmittelbar nebenan stattfand. Es ging um die Ukraine. Als die Polizei auftauchte, um die Papiere der Demonstranten zu prüfen kam ein Freund von Jan vorbei, der direkt witzelte: „Die sind bestimmt wegen dir hier!“. Die beiden schienen sich ziemlich gut zu verstehen. Jan erzählte viel: In seinen jungen Jahren hat sich Jan entschlossen freiwillig auf der Straße zu leben, in Teilzeit. Auf die Frage nach dem warum antwortete er schlicht: „Freiheit“. Nun lebt er unfreiwillig auf der Straße. Der Grund ist uns unbekannt, wir sind einfach nicht dazu gekommen zu fragen. Jan ist viel durch Deutschland gereist, hat viele Orte gesehen und möchte sich nun in Düsseldorf „niederlassen“. Vorallem Hamburg hatte es ihm angetan, dort kannte er seine Leute und lernte auch den Freund kennen, der ihm zuvor den Polizeibesuch scherzhaft in die Schuhe schieben wollte. In Düsseldorf ist er nun seit 5 Monaten, dies ist aber nicht sein erster Aufenthalt in der schönsten Stadt am Rhein.
In unser Erinnerung schwebte noch der gestrige „Blizzard“, bei dem Düsseldorf still stand. „Ich habe geschlafen als es schneite. Wachte auf, zog mir den Schlafsack vom Gesicht, schaute mich um und drehte mich dann auch direkt wieder um.“ Das hört sich zwar nach dem typischen Montag in einer Studenten-WG an, doch Jan lebt lieber draußen. Er kann die Notunterkümpfte nicht leiden. Dort ist es laut, voll, manchmal wird geklaut. Die Leute machen Party und trinken bis spät in die Nacht. Zusätzlich argumentiert er: „Wenn du zwei Nächte im Warmen bist und dann wieder in die Kälte musst, ist es schlimmer als in der Kälte zu bleiben“. Das Leben auf der Straße ist Trainingssache. Nach ein paar Jahren gewöhnt man sich an den Boden und die eingeschlafenen Beine. Einen Hund hatte Jan auch mal. Der Hund ist der beste Freund des Obdachlosen. Er passt in der Nacht auf, dass nichts geklaut wird, leistet dir Gesellschaft und hält dich sogar warm. Obdachlose mit Hunden bekommen mehr Geld. Jan erzählte uns in dem Zuge von einem Bekannten Obdachlosen in Hamburg, welcher seinen Hund gegen einen Welpen getauscht hatte, da dieser mehr Geld einbringt. Von solchen Aktionen distanziert sich Jan, er schien rundum eine sehr moralische Person zu sein. Nur wurde er etwas ausfällig, als eine Frau von der Ukraine-Demonstration ihn im Zuge einiger Aufnahmen filmte. Vollkommen verständlich, niemand möchte ohne Erlaubnis gefilmt werden. Er berichtete uns, dass er, und seine Bekannten, oft von Menschen fotografiert oder hinterrücks interviewt werden. Letztens wurde er von einer Frau zum Essen im Füchsen eingeladen, die ihn regelrecht ausquetschte. Auf die Frage, wieso sie ihm so bekannt vorkomme erzählte sie ihm, dass sie oft an ihm vorbeiging, „um mit meinem Mann sonntags Morgens im Füchsen frühshoppen zu gehen“. Es stellte sich heraus, die sie insgeheim für den WDR arbeitete.
Auch Politik war erstaunlicher Weise ein Thema unseres Gesprächs. Wir unterhielten uns anlässig der Demo kurz über die Ukraine, witzelten, semi-sorgenvoll, über Donald Trumps Weltansichten sprachen aber hauptsächlich über die Straßen Düsseldorfs. Sie ähneln einem Teufelskreis. Obwohl Jan ein weltoffener Mensch ist, machte er deutlich, dass er, auf Grund der Zuwanderung aus Osteuropa eine starke Veränderung bemerkte. Irgendjemand klaute Irgendjemand Irgendetwas. Darauf fingen viele an sich gegenseitig zu beklauen. Dabei ist es ganz egal wer wem was klaut. Ob ein Flüchtling einem Flüchtling, ein Flüchtling einem Deutschen, ein Deutscher einem Flüchtling oder ein Deutscher einem Deutschen etwas entwendet ist ganz egal. Schlimm ist: Es passiert überhaupt.
Er verriet uns außerdem, dass er mittlerweile so lange auf der Straße lebt, dass er die Rookies der Obdachlosigkeit, Schauspieler, Berufsbettler, Abhängige und wahre Menschen in Not mit Leichtigkeit auseinanderhalten könne.
Abschließend tranken wir den letzten Rest Kaffee und bedankten uns für die Stunde, die unerwartet schnell und konversationsreich umgegangen ist. Jan machte sich auf dem Weg, um sich einen neuen Ort zum sitzen zu suchen, die Demonstration brachte ihn merklich aus der Ruhe. Wir fragten Jan, ob wir über unsere Erfahrungen mit ihm schreiben dürften, schließlich ist er eine sehr interessante Persönlichkeit, die viel erlebt und zu erzählen hat. Er war sehr entspannt und freute sich, dass wir ihn nach der Erlaubnis überhaupt fragen. Dann verriet er uns, dass er momentan selber seine Memoiren niederschrieb. Er ist im Buch schon bei seinem 25. Lebensjahr angekommen. Sein letztendliches Alter können wir nur schätzen. Es war ein sehr entspannter Präabend, er war anders als die anderen Begegnungen. Offener, undramatischer, freundschaftlich.
Wir wünschen Jan viel Glück auf seinem weiteren Weg und hoffen, dass wir bald seine Memoiren lesen dürfen.