Erster Teil: Stephan, Arno & Lilly

Der Korb war gefüllt: Ofengemüse, Kräuterquark, ein Kartenspiel, Fritz und jede Menge Aufregung. Soweit der Plan, aber wie es mit der Ausführung aussehen sollte, da hatten wir beide noch keine Ahnung.

Auf dem Weg in die Stadt hatten wir schon eine Menge potentielle „Opfer“ unseres Vorhabens gesehen, aber als wir dann mit dem Essen auf die Straße wollten, war es nicht so leicht jemanden zu finden. Den alten Herren, den Philip vor der Oper gesehen hatte, fanden wir nicht. Dafür aber einen 50/50 Verkäufer ganz in der Nähe. Wir sahen uns an und hatten direkt das gleiche Problem: Wie spricht man so eine Person an? Man kann ja nicht einfach so zu einem Menschen hingehen und ihn fragen, ob er mit ihm essen wolle, oder? Da es für uns beide keine andere sinnvolle Möglichkeit gab, nahmen wir unseren Mut zusammen, gingen geradewegs auf ihn zu und Philip fragte. Die erste Bürde war geschafft, uns fiel ein mittelgroßer Stein vom Herzen. Die angesprochene Person war freundlich, schien sich sogar echt zu freuen, allerdings gab es ein Problem: Er war schon total satt, da er gerade gegessen hatte. Also ließen wir ihm eine Fritz-Limo da und machten uns wieder auf die Suche.

Also gar nicht so einfach, wie man denkt.

Die nächsten, denen wir über den Weg liefen waren Stephan, Arno und Lilly, seine Hündin. Wir fragten, ob wir uns zu ihnen setzen dürften, beide waren erfreut, luden uns ein sie einladen zu dürfen und wir setzen uns ganz frech mitten auf die Flinger Straße. Das Essen wurde verteilt, die Getränke geöffnet und das erste „Speisen&Sprechen“ ging los. Einfach so, ohne große Umstände. Wir wurden freundlich empfangen und aufgenommen, die Konversation konnte beginnen.

Arno und Stephan schienen gute Freunde zu sein. Sie haben sich damals über mehrere Ecken kennen gelernt und verbringen nun zwischendurch den Tag zusammen. „Man muss aufpassen mit wem man sich einlässt“, sagte Arno, „manche Leute versuchen dich im Schlaf umzuknüppeln, andere beklauen dich.“ Das ist eine krasse Aussage, allerdings „sind die Leute zum größten Teil nette Kerle“. Auf jeden Fall haben sich Arno und Stephan nun gefunden. Beide hatten es in der Kindheit nicht so leicht, beide lebten eine Zeit auf der Straße und beide haben sich aber gefangen. Arno hat sich von dem Geld, das er bekam ein Grundstück gekauft, er will eine Hundetagestätte eröffnen. Das ist auch der Grund, aus dem Arno nicht mehr trinkt und raucht. Ein hoch gestecktes Ziel, aber er ist auf einem guten Weg. Lilly ist zwei Jahre alt, gut erzogen, ihr Fell glänzt und ihre Krallen sind gestutzt. Man merkt, dass Arno Ahnung hat. Stephan hat nicht so viel von sich Preis gegeben, allerdings ist auch er in einer gemütlichen Wohnung untergekommen und muss nicht mehr als Obdachloser leben.

Das Essen schien den beiden zu schmecken, wir waren schnell fertig und wendeten uns ganz der Konversation zu. Das Kartenspiel brauchten wir nicht.

Essen ist bei vielen Obdachlosen kein Problem in Düsseldorf, es gibt viele Orte an denen man günstig oder gar kostenlos etwas bekommt. Als die beiden ausschweifend erzählt haben, wo man als Obdachloser überall hingehen kann, um durchzukommen, waren wir beide erst einmal erstaunt, doch dann auch auf eine gewisse Weise erleichtert. Es gibt in Düsseldorf viele Leute, die gerne Helfen, Essen verteilen und Essen spenden. Es gibt Ärzte, die sich gerne um dich kümmern, wenn es dir schlecht geht. Es gibt einen Tierarzt, der alle 14 Tage in der Altstadt ist und sogar kostenlos impft. Das alles zu hören hat uns erfreut. Natürlich gibt es auf beiden Seiten schwarze Schafe. Viele Leute kommen auf die Straße, weil sie psychisch krank sind oder süchtig, denen ist auch leider nicht immer wirklich zu helfen, wenn sie nicht nach Grafenberg eingewiesen werden. Dafür gibt es aber auch Leute, welche die wirklich guten gespendeten Sachen eher in die eigene Tasche stecken, als es mit Bedürftigen zu teilen, denen ist in einer gewissen Weise auch nicht mehr zu helfen. Wenn man sich anstrengt und wirklich darauf hofft, aus der Krise herauszukommen und sich nicht dafür schämt, Hilfe anzunehmen, dann ist das Loch, in dem man steckt gar nicht mal so groß, wie manche Leute denken. „Gar nicht mal so groß“ heißt aber trotzdem nicht, dass man auf der Straße ein gutes Leben führt, es ist schon alles nicht so einfach. „Feuchtigkeit ist dein größter Feind“, hat Arno uns erzählt, „gegen Kälte kann man ankämpfen, aber Feuchtigkeit frisst sich durch alles durch“.

Die Fußgänger sind verständnislos. Wir wurden angestarrt, Eltern haben ihre Kinder einen großen Bogen um uns ziehen lassen, andere wiederum sind so nah an uns vorbei gegangen, dass man annehmen möchte, wir seien Luft. „Die Obdachlosen mit Hund sind meistens besser dran, denn sie bekommen viel mehr Geld. Manchmal hat man aber das Gefühl, dass die Leute dem Hund das Geld geben und nicht dem Menschen, der dahinter steht.“ So etwas Ähnliches hatte sich Philip schon gedacht und seine angestellte Vermutung, dass manche die Tiere auch missbrauchen, um an mehr Geld zu kommen, erwies sich als richtig.

Was uns ein bisschen amüsiert hat, ist das alle Leute sich untereinander kennen und die Leute klischeehafte Spitznamen haben. Da gibt es den Flaschen-Uwe, den schwulen Uwe, den Vegetarier-Uwe, Horst, Frank, Heino, Herby, der nackte Cowboy und die Transen-Tanja. Als wir gegangen sind, haben wir sogar einen der vielen Uwes getroffen. Die Spitznamen unserer beiden Leute haben wir nicht erfahren.

Stephan, Arno und Lilly haben uns mit einem guten Gefühl gehen lassen. Wir hatten die letzten 90 Minuten ein interessantes Gespräch und ein leckeres Essen. Wir haben viele Gedanken und Emotionen, die wir erstmal verarbeiten müssen und hoffen, dass wir bald mehr Erfahrungen sammeln können. Außerdem sind wir beide gespannt auf den Weg, den Arno und Stephan gehen, wir wünschen beiden alles Beste für die Zukunft und hoffen, dass wir bald unsere Hunde in Arnos Betreuung geben können.

-Philip Maas & Clara Bienroth